Lothar Sandfort

Lothar Sandfort hell

Lothar Sandfort
Psychologe

Der am 18.1.1951 im westfälischen Gronau geborene Lothar Sandfort ist ein echtes Arbeiterkind. Beide Eltern in der SPD, alte Arbeiterbewegung, klassenbewusst, evangelisch. Er wächst in Gütersloh auf, zieht mit 18 von zu Hause aus und macht auf dem Kolleg sein Abitur nach. Der zweite Bildungsweg wird 1971 von einem Autounfall ohne Fremdbeteiligung unterbrochen. Das Resultat: Querschnittlähmung.

Das ist nicht nur ein Einschnitt, sondern ein „Identitätsbruch“, gefolgt von einer „hochdramatischen“ Trauerphase. Mit dem lustvollen, wilden Leben im Espelkamper Kolleg ist es aus. Nach der Rückkehr von einer freudlosen Erstreha in Hessisch-Lichtenau verbessern sich die schulischen Leitungen des frischverletzten Rollstuhlfahrers beträchtlich. In der baulich ungeeigneten Schule macht er sofort die ersten positiven Erfahrungen mit Solidarität – Mitschüler tragen ihn Treppen herauf und herunter.

Sehr früh sucht er auch die Begegnung mit anderen Behinderten, zuerst im cbf Bielefeld (Club der Behinderten und ihrer Freunde), ab `73 im cbf Köln, wo er sein Psychologiestudium beginnt. Damit hat er es nicht eilig, bis zum Abschluss wird es zehn Jahre dauern. Die Politik ist wichtiger. Sandfort beteiligt sich an der entstehenden emanzipatorischen Behindertenszene, gründet eine Selbsthilfezeitung, „Luftpumpe“, die später mit der „Krüppelzeitung“ zur „Randschau“ fusioniert, inzwischen gibt es sie nicht mehr. Um ein Haar wäre er für die Grünen in den NRW-Landtag eingezogen, ein Parteitagsbeschluss zugunsten von Päderasten kurz vor der Wahl bedeutet für die Landespartei jedoch politischen Selbstmord. In Bonn wird der Psychologe Behindertenbeauftragter der grünen Bundestagsfraktion – auch die fliegt vier Jahre später für eine Legislaturperiode aus dem Parlament…

Mitte der 80er hat Lothar Sandfort seine spätere Frau Ina kennen gelernt. 1990, nachdem die „linken Blütenträume“ mit der Wiedervereinigung zusammengebrochen sind, wird das familiäre Leben geplant. Es galt lange als unmöglich, nun nicht mehr – auch Querschnittgelähmte können Vater werden. Hauke ist jetzt 11, Fenja und Mirco 14. Die Sandforts haben heute ein Gästehaus im Wendland, nahe der ehemaligen DDR-Grenze. Man kann dort Urlaub machen, mit dem Rollibike fahren, sich aber auch einzeln psychologisch beraten lassen. Ein zentrales Thema ist die Sexualität. Hierzu gibt es Erotik-Workshops. Neben tantrischen Übungen könne auch der Kontakt zu einer spezialisierten Prostituierten Erfahrungen vermitteln, am wichtigsten sei aber, „mit sich selbst zu experimentieren“, um sich von traditionellen Rollen zu befreien. Auch das sei Emanzipation, Lothar Sandforts „Lebensstichwort“.